Der Kiez ist gleich nebenan. Große Kaufhäuser. Wir gehen in einen großen, vollen Laden, voll mit Halloweenstuss. Ich entdecke hinter der Theke etwas Besonderes. Ein kleiner Kasten aus rotem Plastik, in den man hineinsehen kann. Dort läuft ein Film aus vielen aneinandergereihten Bildern. Ein Pinup, schwarz-weiß, mit einem Stuhl, eine Frau in einem 50er Jahre Kostüm, dazu die passende Frisur. Aber das Bild ist undeutlich. Ich richte die Kamera auf und sehe, dass die Situation tatsächlich passiert auf einer Bühne und, dass der Kasten zwar die Illusion vermittelt, dass hier eine Bildabfolge gespeichert ist, tatsächlich handelt es sich aber um Realität, das, was wirklich passiert, und der Kasten ist nur die Möglichkeit eines Films, den es aber nicht gibt, weil es sich ja doch in echt abspielt.
Nächste Szene: Der Kiez ist weg, es ist früher Abend, es dämmert leicht, es ist Sommer, aber nicht zu warm. Ein Häuserblock am Stadtrand, wunderschön in seiner Hässlichkeit. Hässliche Einfamilienhäuser großzügig aneinandergereiht.
Ich gehe Gassi. Ein anderer Hund kommt uns entgegen, er muss wahnsinnig alt sein, etwas stimmt nicht mit ihm. Dann Ute mit ihrem kleinen Hund. Warum sie einen Hund hat, frage ich mich nicht, sie hatte schon immer einen. Und sie fühlt sich wohl. Sie kann es nicht glauben, dass ich da bin, dass ich in diesem Block, in diesem Viertel Gassi gehe. Berlin fühlt sich weit weg an, aber es muss ein Teil von Berlin sein, es spielt keine Rolle.
Große Freude. Ute kann es nicht fassen, wir schreien vor Freude. Wir sind nun wieder Nachbarn und Nachbarinnen, das schreie ich ihr zu. Danach kein Gespräch, wieso, weshalb, warum, es geht unter. Die Geschichte zu unserem Umzug, was wir machen und wo wir nun leben, es spielt keine Rolle, es gibt den Raum dafür nicht, aber in mir der Impuls es erzählen zu wollen.
Wir kommen an einem kleinen Haus vorbei, eigentlich ist es ein Holzverschlag, die Türen gehen auf, noch besser, die Wände klappen herunter. Es ist ein offener Raum, halb Innen- halb Außenraum. Innen Gegenstände, ein Ghettoblaster, Poster, Objekte, alles original. Ein echter Schatz, alles echt, authentisch, 80er Jahre, ramschig, nichts hat sich verändert. Keiner, der hier ein- und ausgeht, scheint den Wert zu erkennen, außer Ute und ich. Sie ist hier glücklich und sie scheint schon so viele Abende hier verbracht zu haben. Es ist ihr zu Hause geworden.
An den Stehtischen stehen traurige Gestalten. Hager, alt, abgearbeitete Männer mit einem Glas Bier, sie trinken es in Stille, im Schweigen. Sie gucke nicht, sie starren mit müdem Blick ins Leere. Aber auch sie sind am richtigen Ort und möchten nirgends sonst sein und ihr Dasein verleiht dem Ort seine Echtheit.
Dann tauchen noch mehr Leute auf, die ich kenne. Mein alter Studienkollege Carlos. Auch er ist hierhergezogen. Er steht dort und trinkt gelassen sein Feierabendgetränk. Er ist immer hier und lebt im Viertel. Ein Viertel in dem ich nun auch wohne. Ein Viertel in dem man sich wieder trifft, ein Auftauchen aus der Versunkenheit, des Vertriebenseins aus der Innenstadt. Eine Gemeinschaft, neu formiert, integriert, ein neuer Raum, neue Möglichkeiten.