Schlüssellöcher und spezifische Objekte

Stefan Thater, geboren 1968 in Hamburg, arbeitet häufig mit Mischformen aus Bild und Objekt. Dem Verfahren nach funktioniert das ziemlich direkt – etwa über Abdruck- und Frottage-Techniken, aufgefaltete Produktverpackungen oder Collagen aus Fundobjekten. Im visuellen Ergebnis führen solche betont simplen Umformatierungen des Gegebenen dann aber sehr weit vom Ausgangspunkt des Dinglichen weg und verwandeln sich in etwas Eigenständiges, Hermetisches, Abstraktes. Thater zählte Ende der Neunziger zur Hamburger Akademie Isotrop – ein Künstlerprojekt, das als selbstorganisierte Kunsthochschule funktionierte und zu dem unter anderem auch André Butzer, Jonathan Meese und Susanne M. Winterling gehörten. Deren manieristische Konzeptualität und Poesie schreibt Thater mit seinem Stil des abstrahierenden Verfremdens und Vereinfachens auf ganz eigene Weise fort – wobei Stil hier weniger bloß formale Wiedererkennbarkeit als vielmehr die Entfaltung einer ebenso spröden wie spielerischen Sensibilität für bestimmte Materialien und Bildverfahren bedeutet.

Rückblickend zeichnet sich das schon seit Thaters erster Ausstellung 1999 ab, die in der legendären „Nomadenoase“ des Hamburger Golden Pudel Clubs stattfand. Seither folgten regelmäßig Ausstellungen, darunter bei Daniel Buchholz in Köln und Karin Guenther in Hamburg, wo er derzeit mit seiner dritten Soloschau zu sehen ist. Thater hat sie als Gegenüberstellung angelegt: Er nutzt lediglich die gegenüberliegenden Längswände des Galerieraums. Als würde er die eigene Arbeit aus verschiedenen Perspektiven demonstrieren, gibt es eine streng formalisierte und eine stärker subjektive, quasi „handschriftliche“ Seite.

Die erstere ist ein Arrangement aus sieben Assemblagen, alle mit Box (2010) betitelt. Im Aufbau identisch, variieren sie in der Farbkombination. Als Bildgrund fungiert je ein rechteckiges Stück farbiger PVC-Plane, das an den Ecken mit (funktionslosen) Ösen versehen und als Hochformat auf der Wand platziert ist. Darauf sitzt jeweils ein längliches 

Kunststoffobjekt mit acht ovalen Aussparungen, die den Blick ins Innere freigeben. Dabei handelt es sich schlicht um ein mit Lack besprühtes, leeres Dia-Magazin. Wohl kein Zufall, dass Thater mit diesem Objet trouvé ausgerechnet einen „analogen Bildspeicher“ ins Bild setzt und der Arbeit dadurch einen medialen Subtext verleiht. Die nach unten ausgerichtete Verschlussklappe ist geöffnet und grenzt die Rechteckform gegen den Hintergrund ab; ihre Beschriftungsfelder sind mit weißer Farbe händisch nachgemalt. Linksbündig ragt eine mit Acrylfarbe bemalte Holzleiste von rund anderthalb Metern Länge hervor – ein asymmetrischer Ausläufer, der aus dem Kernbereich des Bildes weit ins neutrale Feld der weißen Galeriewand ragt und knapp überm Boden endet. Die Formalisierung dieser enigmatischen Objekte funktioniert einerseits streng formal, spielt aber auch süffisant mit Bricolage-Humor, wenn Thater hier ein wenig ärmliche Verwandte eines Peter Halley auf den Laufsteg schickt. Folie, Kasten und Holz, sind je verschiedenfarbig monochrom, doch folgt die Kombination der Farben keiner Serialität: Nach Schwarz auf Schwarz mit Rot folgen erst ein Rot auf milchigem Gelb plus Appendix in verweißlichtem Grün, dann wieder Schwarz auf Schwarz, das Holzstück unbemalt, danach zwei Sorten Blau mit Grau etc. Mit solch irregulären Abfolgen macht Thater das sperrige Colourfield-Ensemble entgegen der scheinbaren Serialität zur subjektiven Komposition. Die Palette abstrahierte er angeblich aus Farben im öffentlichen Raum seines Wohnortes Berlin – auch hier ist also eine Formalisierung subjektiver Bildvorstellungen maßgeblich. Oft prägen Thaters Arbeiten über Strukturprinzipen hintergründig Widerstand gegen durchgreifende Ordnungen aus – und entwickeln daraus eine Eigengesetzlichkeit, die introvertiert bleibt und still.

Bei Karin Guenther beginnt das ganz beiläufig bereits am Eingang. Dort hat Thater, als wolle er das Eintreten paraphrasieren, mit Schlüssellöcher (2010) einen diskreten Opener platziert: Zwei kurze Holzleisten, die Reste aus der Produktion der Box-Objekte sein könnten, sind auf der Schauseite sauber dunkelgrün gestrichen. Auf einer prangt eine Metallkappe mit Schlüsselloch, die andere stellt ihre betont schludrig gearbeitete Rückseite zur Schau. Die zwei gefakten Beschläge, die in der Realität ja auf beiden Seiten einer Tür zu finden wären, also Drinnen und Draußen markieren, hat Thater lakonisch mit grüner Kordel verknüpft und am Nagel aufgehängt. An der zweiten Wand stellt er mit einem Ensemble aus Papierarbeiten und Objektcollagen einen denkbar großen Kontrast zur Box-Reihe her: Fünf kleine Zeichnungen, ein Mix aus Kreide, Tusche, Aquarell, alle Ohne Titel (2010), sind in pointierter Platzierung direkt an die Wand gepinnt. Konsequenterweise ohne Rahmen, denn Thater macht Displays gern als solche zum Material: Hier etwa mit einem zur Tischplatte umfunktionierten Bild (Tisch, 2010) und einer zum Bild umfunktionierten Tischplatte (Box, 2010). Letztere ist übrigens der improvisierte Prototyp der Box-Serie unter Verwendung einer ursprünglich als Malunterlage dienenden MDF-Platte. Gleich daneben Aushang (2010), ein Metallschaukasten, der in alten Berliner 

Hausfluren zu finden und hier mit Einladungskarten zu Thaters Ausstellungen bestückt ist: eine Retrospektive in nuce. In den Zeichnungen paraphrasiert Thater zumeist Bildverfahren, die er in anderen Werken umgesetzt hat. Hier etwa wird immer wieder die weiße, maskenhaft-abstrakte Form auf blauem Grund in Tisch (die schlicht einem aufgefalteten Briefumschlag entstammt) zum Thema. Thater stellt aus solchen immanenten Querverweisen und materiellen Transformation leichthändig Verflechtungen her, die in sich schlüssig und als räumliches Gesamtbild funktionieren. Thaters charakteristische Bildsprache zieht den Betrachter leise, aber nachhaltig in ihren Bann, denn sie ist erfindungsreich und spielerisch bis ins Detail - zugleich aber spröde genug, um Bilder jederzeit mit einem passenden Befremden auszustatten. Eine Schönheit, die sich dem Widerspruch verdankt.

Jens Asthoff / artnet 2011